Schneedruckschäden im Schatten eines Qualitätsdefizits?
Anfang Dezember 2023 ereignete sich in der Region Niederbayern in einem Streifen von München über Mühldorf bis in den Bayerischen Wald ein durchaus beachtliches Schneeereignis. Die Schneemengen waren zumindest für den Monat Dezember ungewöhnlich, was auch in der Presse thematisiert wurde. Aus diesem Schneeereignis ergab sich eine Vielzahl von Schneedruckschäden an PV-Anlagen.
Auf den ersten Blick war die Schadensplausibilität durchaus gegeben. Bei näherer Betrachtung des vorliegenden Schadensportfolios vor einer Schadensbegutachtung vor Ort ergaben sich aber durchaus Besonderheiten und Auffälligkeiten. Zum einen waren fast ausschließlich Freiflächenanlagen betroffen, d.h. Schäden an Anlagen im Dachsegment waren seltener oder gar nicht betroffen. Weiterhin war feststellbar, dass die betroffenen Freiflächenanlagen alle nicht älter als fünf Jahre gewesen sind. Manche Anlagen waren sogar keine zwei Jahre alt. Ältere Anlagen in der Region, welche ebenfalls mit der gleichen Schneelast beaufschlägt waren, waren nicht schadensauffällig. Aus diesem Grund war es durchaus geboten, bei der Schadensbegutachtung eine tiefere Analyse vorzunehmen und u.a. auch die vorhandene Bauweise sowie Konstruktion dieser Anlagen mit zu bewerten. Hieraus ergaben sich durchaus „Überraschungen“.
Natürlich stellte sich vorab die Frage, welches Schneegewicht wirkte überhaupt auf die betroffenen PV-Anlagen? Dabei ist nicht ausschließlich die gefallene Schneehöhe maßgebend, sondern die vorhandene Schneewichte. Diese ist wiederum abhängig von der Konsistenz. Hieraus können sich sehr große Unterschiede ergeben. So beträgt die Wichte von lockerem Pulverschnee ca. 100 kg/m3. Je nach Feuchtebeschaffenheit und Konsistenz liegt das Gewicht bei feuchtem Neuschnee bei ca. 200 kg/m3 und steigert sich bei Nassschnee mit ca. 400 kg/qm bis hin zu Firn oder vereistem Schnee mit bis zu 900 kg/m3.
Die an den regionalen Wetterstationen registrierten Schneehöhen am Boden lagen zwischen 40 cm und 55 cm. Da die Schäden an den PV-Anlagen erst dann zu Tage traten, als der Schnee bereits wieder abgeschmolzen war, ist es im Nachhinein durchaus schwierig, Aussagen über das tatsächlich aufgetretene Schneegewicht zu treffen. Aber auch hierzu liefern die Wetterstationen entsprechende Grundlagen. Das Schneegewicht wird wesentlich vom Wassergehalt bestimmt. Insofern ist es möglich, aus den registrierten Niederschlägen in Form des äquivalenten Wassergehalts auf die Wichte des Schnees zu schließen. Nach erfolgter Auswertung mehrerer Wetterstationen lag das für ca. 2 Tage max. anstehende Schneegewicht aus dem Niederschlag noch innerhalb der aus DIN 1991-1-3 sich ergebenden Lastansätze aus den regional zugrunde liegenden Schneelastzonen.
Im Ergebnis dieser Betrachtung war es daher verwunderlich warum überhaupt Schäden an den PV-Anlagen eingetreten sind. Bei genauer Prüfung der für die Berechnung der Tragsysteme zugrunde liegenden Unterlagen zeigten sich teilweise erhebliche Auffälligkeiten und Abweichungen, welche nur beispielhaft nachfolgend dargestellt werden sollen:
Abweichende Profilwahl
Trotz vorliegendem statischen Nachweises der Tragkonstruktion wurden bei einigen Anlagen abweichende Konstruktionsprofile mit einem geringeren statisch wirksamen Profilquerschnitte verwendet. Stellenweise lagen die Querschnittsabweichungen bei rd. 40% bis 60% der aus der Statik sich ergebenden, erforderlichen Widerstandsmomente, zum Beispiel in Biegeachse bzw. Knicklänge. Es war somit objektiv erkennbar, dass hier eine mangelhafte Bauausführung vorlag welche zum Bauteilversagen aufgrund Schneebelastung beigetragen hat.
Konstruktionsversagen durch falsche Profilwahl Konstruktionsversagen: zu schwache Profilwahl sowie konstruktive Mängel
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Abweichungen bei der Gründungsempfehlung
Im Vorfeld der Tragwerksplanung ist es erforderlich, bei der Verwendung von Tiefgründungen (Rammstützen) Baugrunduntersuchungen durchzuführen, um die entsprechenden Parameter für die erforderliche Rammtiefe zu ermitteln. Da zu diesem Zeitpunkt oftmals nicht feststeht, welcher Hersteller des Tragsystems zur Ausführung kommt, fußen die Gründungsempfehlungen aus den Baugrunduntersuchungen in der Regel auf Annahmen eines „Standardprofils“ als Rammprofil. Wichtig dabei ist, dass bei der tatsächlichen Konstruktionsplanung die ausgesprochenen Gründungsempfehlungen zu hinterfragen und ggf. auf Basis des tatsächlich zur Ausführung geplanten Profils überarbeitet bzw. berichtigt werden. Entsprechende Hinweise finden sich auch regelmäßig in den Baugrundgutachten in der Form, dass bei Abweichungen des zugrundeliegenden Standprofils die Gründungsberechnungen anzupassen sind.
Dennoch waren bei den Schadensfällen Situationen anzutreffen, bei dem unter Verwendung eines abweichenden (kleineren) Stützenquerschnittes die gleichen Gründungstiefen angewendet wurden, wie diese aus dem Bodengutachten entnehmbar waren, welche aber dort auf einem größeren Profilquerschnitt basierten. Die Folgen hieraus sind durchaus plausibel: Aufgrund der geringeren Mantelfläche des kleineren Profils ergibt sich eine verringerte Mantelreibung und in Verbindung mit dem verringerten Spitzendruck und verändertem Bettungsmodul somit eine verminderte Tragfähigkeit. Die Folgen hieraus sind Stützensenkungen bei Belastung – in konkreten Fall durch kurzfristige Schneeeinwirkung.
Hieraus kann sich aber auch ein komplettes Bauteilversagen ergeben. Sinken einzelne Stützen ein, kommt es im übrigen Tragsystem zu Lastverlagerungen auf andere Bauteile wie u.a. auf die Pfetten und Binder. Hierbei ergeben sich dann zwangsläufig Überlastungen, welche dazu führen, dass eine Art „Dominoeffekt eintritt, welcher zu einem weiteren Bauteilversagen einzelner Konstruktionselemente führt und somit den Schaden vergrößert.
Stützensenkungen Stützensenkungen Folgeschaden aus Stützensenkung
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Schneelastabminderung
Die in der Schneelastnorm ausgewiesenen Schneelasten basieren auf eine statistisch ermittelte Wiederkehrperiode von Schneefallereignissen innerhalb von 50 Jahren. Dies bedeutet, dass nach statistischer Grundlage ein maximal auftretendes Schneeereignis zugrunde gelegt wird, welches einmal in 50 Jahren eintreten kann.
Bei einigen vorliegenden statischen Berechnungen bei PV-Freiflächenanlagen ist feststellbar, dass die Schneelast aus v.g. Norm auf eine Ereigniswahrscheinlichkeit von 25 Jahren, teilweise auch auf 20 Jahren reduziert wurde. Hieraus ergeben sich auch reduzierte Lastansätze, welche um 12% bis 20% niedriger liegen, als die aus der zugehörigen Schneelastzone sich errechneten Werte. Begründet wurde diese Abminderung auf Nachfrage damit, dass man bei PV-Anlagen eine Lebensdauer von 20 bis 25 Jahren unterstellen kann und sich daher die Wiederholungsperiode auf diesen Zeitraum reduzieren lässt.
Ungeachtet der Frage, ob eine Freiflächenanlage tatsächlich nur eine Nutzungsdauer von 20 oder 25 Jahren besitzt, was durchaus zweifelhaft erscheint, wäre eine solche Abminderung aber nach den normativen Grundlagen nicht zulässig bzw. ist eine solche baurechtlich nicht eingeführt.
gekippte Pfette wg. zu geringer Bemessung Überlastungsschaden aufgrund zu geringer Bemessung und zu großer Stützweite
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Nach vorläufigen erweiterten Prüfungen durch einen Prüfstatiker und dessen Ergebnissen muss nach den bisherigen Erkenntnissen unter momentan vorsichtiger Bewertung davon ausgegangen werden, dass die v.g. Abweichungen und Unzulänglichkeiten sich bestätigen. Die Konsequenzen hieraus sind nicht ohne. Manche Versicherung sieht die betroffenen PV-Anlagen als mangelhaft errichtet an und schließt aktuell eine weitere Versicherbarkeit aus. Zudem sind aus den Schadensfällen u.a. Regressforderungen der Versicherer zu erwarten.
Bekommt die PV-Branche ein neues Qualitätsproblem?
Man kann es nicht ausschließen. Es sickert durch, dass man anscheinend u.a. die Gestellkonstruktionen statisch so weit ausreizt, dass z.B. die Stützen mit größeren Abständen eingebracht werden, was die Montagekosten reduzieren soll. Zudem wird natürlich auch entsprechend Material eingespart, was ebenfalls die Kosten senkt und auch Wettbewerbsvorteile mit sich bringt. Dies würde u.a. auch die Anwendung einer unzulässigen Schneelastabminderung erklären.
Weitere Ergebnisse sind abzuwarten. Fest steht aber, dass mit zunehmenden Wetterextremen die Schadenshäufigkeit an solch konzipierten Anlagen steigen wird – trotz der Versprechen der Hersteller in Punkto Qualität, Langlebigkeit und Nachhaltigkeit.